Heimat - Dies ist der Ort, an dem wir gemacht wurden
Es ist Samstagnacht. Früher war dies unsere Weggehzeit. Samstagnacht, den Traum von Freiheit leben. Aus dem Fenster steigen, in die Disco schleichen, mit dem Ausweis des großen Bruders das erste Bier bestellen. Stundenlang mit Freunden feiern, barfuß im Kult tanzen, niemals einsam sein. Das Kult schließt. Wir ziehen unsere Schuhe an und stolpern über die Äcker und die Felder nach Hause. Junge Idioten auf dem Weg durch die Dunkelheit.
Es ist Samstagnacht. Wir trinken Wein aus dem Keller meines Vaters. Rauchen, um das Gefühl der Langeweile zu ersticken. Bis die Wände keine Decke mehr brauchen. Wir reden mal wieder darüber, dass wir gehen. Wir redeten oft darüber. Gingen und kamen zurück. Die Gespräche blieben.
Alles was ich weiß ist
Egal wie weit weg
Dies ist der Ort, an dem wir gemacht wurden
Heimat. Hier kenne ich jede Straßenlaterne und vielleicht verblassen ihre Farben. Alte Häuser zerfallen und verschwinden. Neubaugebiete entstehen. Und dennoch: Dies ist der Ort, an dem wir gemacht wurden. Ich denke an die gemeinsamen Abende. Die späten Nächte und die Hexenfeuer beim Tanz in den Mai. An gemeinsame Abende und seltsame Reden. Bierflaschen, die einen Abhang hinab rollen. Wir lebten und leben hier. Wir erschufen und tragen die Geheimnisse unserer Städte. Kleine Geheimnisse, die wir unser Leben lang teilen und behalten werden.
Alles was ich weiß ist
Egal wie weit weg
Dies ist der Ort, an dem wir gemacht wurden.
Heimat. Ich sitze beim Frisör. Nebenan bemalt man ein Gesicht, glättet lockige Haare. Ich streiche durch meinen Bart. Ich steige in den nächsten Bus. Mal schauen wo er mich heute hinbringt. Ich war schon überall. Überall und so weit weg von zuhause.
Früher spielten wir Schafkopf im Schuppen und im Pausenraum. Führten Männergespräche und wirkten weise. Wenn wir heute über Frauen reden, rufen wir unsere Ex an. Vieles wirkt auf einmal eiskalt und wir spüren es nicht einmal. Wir rauchen nicht mehr. Keine Gefühle, die wir damit ersticken könnten. Wände haben jetzt Decken. Unsere Träume Dächer. Wir reden nicht mehr davon, dass wir gehen werden. Jetzt reden wir von Dingen, die wir ändern müssen.
Alles was ich weiß ist
Egal wie weit weg
Dies ist der Ort, an dem wir gemacht wurden.
Heimat. Dies ist der Ort, an dem wir gemacht wurden. Hier spielten wir auf der Straße, fanden unsere besten Freunde. Hatten unsere Plätze und unsere Verstecke. Fanden erste Küsse, erste Liebe. Erste Trennungen gab es auch. Wir tanzten und wir sangen. Wir lachten und wir weinten.
Heimat. Dies ist der Ort, an dem wir gemacht wurden. Orte und Menschen. Sie alle tragen ein Stück meiner Heimat in sich.
Alles was ich weiß ist
Egal wie weit weg
Egal wie oft ich sie sehe
Dies ist der Ort, an dem ich gemacht wurde.
Vor einigen Tagen wurde ich gefragt was ich mit dem Begriff „Heimat“ verbinde. Es wirkte einfach. Wie sehr ich mich doch täuschte. Während ich einfache Worte schrieb, nahm man Tom seinen Schlafplatz. Während ich meine Worte schrieb, wurde Tom vermisst. Ein sechsjähriger Junge in Berlin. Niemand wusste wo er ist. Heimat, „ein Platz mit Licht in der Mitte“ (Moses Pelham/Meine Heimat). Aber wo ist das Licht, wenn man einem sechsjährigen keinen Platz zum Schlafen auf der Straße gibt? Meine Heimat – keine einfachen Worte dafür. Sie liegt in mir, in dir, in uns. Sie ist ein Stück Geschichte – verbunden mit Orten und Menschen, mit unseren Erfahrungen und Erlebnissen. Ein Ort, an dem wir gemacht wurden.
Toms Heimat ist die Straße. Während ich an Samstagnacht denke, denkt Tom an den hellen Morgen. Versteckt sich und hat Angst. Tom konnte gefunden werden. Weil drei Menschen an ihn glaubten.
Alles was ich weiß ist
Egal wie weit weg
Egal wie oft ich sie sehe
Solche Menschen sind der Ort, an dem wir Heimat finden können.
Dafür danke ich euch.
In Gedanken an die tiefgehenden Worte von Maisie Peters/Place we were made.
Ruben