Eine kleine Geschichte über Mut

„Ich kann nur mutig sein, weil ich nicht alleine bin.“

Ein einziger kurzer Satz. Teil eines Gesprächs, dass ich vor einigen Tagen führen durfte. Worte, die mich nachdenken ließen. Ein Satz so wertvoll wie eine Mutgeschichte.

Mutgeschichten. Ich kenne sie aus meiner Arbeit mit Kindern. Aus Erzählungen und Büchern. Da gibt es kleine und große Helden. Wilde Kerle und gruselige Monster. Reisen in fremde Länder und erste Tage in der Kindertagesstätte. Es gibt Swimmy, die fünf Freunde und Harry Potter.

Jede Geschichte klingt erst einmal anders. Das macht gute Geschichten aus. Den-noch haben alle Geschichten etwas Gemeinsames: Eine Geschichte über Mut ist letztendlich auch eine Geschichte über die Angst zu scheitern. Denn nur für schwierige Herausforderungen braucht es Mut. Jede Geschichte über unsere Angst an ei-ner Aufgabe zu scheitern ist wiederum eine Geschichte über Mut. Mut die beschriebene Angst zu meistern. Das Eine scheint es ohne das andere nicht geben zu können. Mut geht nicht ohne Angst. Beide bedingen sich. Brauchen einander.

Seltsam, dass nicht Beides Mutgeschichten sind.

Menschen, die mich um Rat fragen, beginnen unsere Gespräche häufig mit Ge-schichten über das Scheitern. Selten über ihren Mut. Sie beschreiben ihr Versagen, ihre Enttäuschungen, ihre Ängste es erneut zu versuchen. Kinder sind enttäuscht, dass ihre Eltern ein gegebenes Versprechen gebrochen haben. Mütter oder Väter sie verlassen.
Mütter reden von fehlender Unterstützung. Fühlen sich vernachlässigt und zu wenig von ihren Männern geschätzt.
Die Väter wiederum betonen häufig den besonderen Wert ihrer Arbeit. Ihre heraus-ragenden Leistungen, die sie allein für die Familie erbringen. Auch sie fühlen sich zu wenig gewürdigt und geschätzt. Sehen sich in einer Außenseiterrolle. Nur Medaillen gibt es in einer Beziehung nicht.
Viele Paare haben den Bezug zueinander verloren. Vermissen die Aufmerksamkeit des anderen. Vermissen das anfängliche Verliebtsein. Sie erkennen die Routinen des Alltags, die zwischenmenschliche Wärme so einfach frisst. Finden aber keinen Mut, diese Routinen zu ändern.
Die tägliche Arbeit wirkt unbefriedigend. Die angestrebte Stelle, der versprochene Traumjob, bringt weder Erfüllung noch Anerkennung.
Überall zeigen sich unsere Dementoren. Seelendiebe anstatt Glückselemente. Wie sehr vermissen wir manchmal ein mutiges „Expecto Patronum“.

Wir sind es gewohnt unsere Gegenwart für eine mögliche Zukunft zu opfern. Dies scheint richtig zu sein. Zumindest hat man es uns so beigebracht. Und wir halten durch. Weiter und weiter. Definieren Ziele und fixieren uns darauf. Schauen stets nach vorne und nicht auf das was wir haben. Feiern Erfolge und vergessen das Wesentliche zu feiern. Wir sehen das Ziel und vergessen den Weg. Vergessen die Menschen und die Momente, die es braucht.
Irgendwann wachen wir auf. Meist ist es dann zu spät. Erst dann sehen wir was wir auf uns genommen haben. Welche Mühen und Belastungen wir getragen haben. Wir sehen die Freunde und die liebenden Partner, die wir verloren haben. Wir beginnen zu zweifeln, zu Hinterfragen. Waren es wirklich unsere Träume, die wir verfolgt haben? Oder waren es die Träume, der anderen? Wenn wollte ich glücklich machen? Mich? Oder habe ich nicht viel eher die Erwartungen anderer zu erfüllen versucht?
Nur wenige Menschen sind mutig genug solche Fragen zu stellen. Nur wenige Menschen finden darin wirkliche Erkenntnis.

„Ich kann nur mutig sein, weil ich nicht alleine bin.“

Immer wieder fragen mich Menschen, woher ich den Mut nahm, mich selbständig zu machen. Eine sichere Leitungsstelle einfach aufzugeben und stattdessen eine wirtschaftlich unsichere Zukunft zu wählen. Scheinbar sichere Bahnen gegen unruhige Zeiten zu tauschen. Gerade in der jetzigen Zeit, erscheint diese Frage allzu berechtigt. Selten stelle ich sie mir. Ich glaube meine Antwort liegt in einer tiefgehenden Erkenntnis. Eine Fortführung meiner Leitungstätigkeit hätte mich mehr und mehr unglücklich gemacht. Erste Krankheitszeichen zeigte sich bereits. Unzufriedenheit, die sich psychosomatisch äußerte. Herz und Bauch erkrankten. Körperliche Dämonen. Seelenfresser. In mir reifte die Erkenntnis, dass ich nicht länger die falschen Erwartungen anderer erfüllen wollte. Es nicht länger probieren durfte. Ich wollte die Dinge leben, die mich glücklich machen. Ich wollte nicht mehr anderen genügen, sondern strebte danach, meine eigenen Träume leben zu dürfen. Meine eigenen Vorstellungen zu erfüllen. Gleichgesinnte zu finden und sinnvolle Projekte zu starten. Ich hatte Glück. Ich war nicht allein.

Manche Menschen nannten mein Handeln egoistisch. Einige waren damals noch Freunde. Manche empfanden es als eine mutige Entscheidung. Beide Gruppen hatten recht. Nur eine davon verstand mich. Es war egoistisch und es war mutig. Erkrankt unser Körper, wird es Zeit egoistisch zu sein. Dürfen wir es sein. Für uns. Auch diese Erkenntnis galt es zu verarbeiten.

„Ich kann nur mutig sein, weil ich nicht alleine bin.“

Ein wundervoller Satz. Kraftquelle. Stiller Begleiter seit Tagen.
Die Gefahr des Scheiterns war da. Ist weiterhin da. Ihr zu begegnen benötigt Mut. Manchmal weniger, manchmal mehr. Auch wenn ich es manchmal zu bereuen versuche, liebe ich mein jetziges Leben so viel mehr. Lebt man mutig, steigen die Chancen, Erfüllung zu finden. Man findet neue Wege. Man erkennt, dass das eigene Glück nicht davon abhängig ist, wie wenig Sorgen man hat, sondern wie man mit ihnen umgeht.

Auch wenn manche meine Entscheidung weiterhin belächeln, hinter meinem Rücken flüstern und meine Ideen als irrsinnige Spinnereien abtun, versuche ich weiter mutig zu sein und versuchen mein Leben ohne Reue und ohne Schuld zu leben.

Mut. Ein gesundes Mittelmaß zwischen Demut und Übermut. Jeder von uns kann mutig sein. Auch alleine, aber mit Gleichgesinnten finden wir unsere Wege einfacher. Nicht umsonst hat Frodo seinen Sam. Harry seine Hermine. Wolverine seine X-Men.

Jeder von uns darf ein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen führen. Jeder von uns darf frei sein und seine eigenen Entscheidungen treffen. Widerstände wer-den kommen. Bedeutungsvolle Momente auch.

„Ich kann nur mutig sein, weil ich nicht alleine bin.“

Vielen Dank für diese Begegnung, vielen Dank für diese wertvollen Worte.

Ich wünsche euch auch solche Momente, in denen ihr euch ebenso nah seid und spürt wie dieser Mensch sich spürt. In seinem Moment. Ich wünsche euch Mut und mutige Entschei-dungen. Betretet nicht nur die vorgegebenen Wege, sondern erschafft eure eigenen Wege. Hinterlasst Fußabdrücke.

Vielleicht begegnen wir uns ja. Irgendwo. Irgendwie und Irgendwann.

Ruben